Hamburger Sternwarte
Gebäude & Teleskope - Lippert-Teleskop



(5.5 kB Das Lippert-Teleskop (heute) [39 kB]) Das Lippert-Teleskop hat im Laufe der Jahrzehnte zahlreiche Umbauten erfahren, so daß von dem ursprünglichen Teleskop heute nur noch die Montierung an seinem Platze steht. Als Lippert-Astrograph bestand das Instrument ursprünglich aus einer Kombination von drei Astrographen (= lichtstarken, kurzbrennweitigen Refraktoren für photographische Beobachtungen) und zwei Leitrefraktoren auf einer gemeinsamen Montierung. Benannt worden ist das Gerät nach seinem Stifter Eduard Lippert (1844 -- 1925), einem wohlhabenden Kaufmann und Amateurastronomen, der vom damaligen Direktor Richard Schorr überredet werden konnte, das Teleskop in der Sternwarte in Bergedorf aufzustellen, und nicht auf Lipperts Privatsternwarte in Hohenbuchen.

Das komplett von Zeiss gelieferte Gerät besitzt eine Montierung mit geknickter Säule, so daß lange Belichtungen über den Meridian hinweg ohne Umschwenken möglich sind. Auf die eine Seite der Deklinationsachse kam ein sogenannter Normalastrograph von 34cm Öffnung und 3.4m Brennweite (Triplet L) mit genau jenen standardisierten Maßen, wie sie für das Carte du Ciel-Unternehmen festgelegt worden waren, sowie ein Leitrefraktor von 23cm Öffnung und 3.4m Brennweite. Die andere Seite trug zwei gleichgroße Astrographen von 30cm Öffnung und 1.5m Brennweite -- einer ebenfalls mit einem Triplet-Objektiv, der andere mit einem Petzval-Objektiv (Vierlinser) -- und einen 20/260cm Leitrefraktor. Solche Kombinationen von zwei (fast) identischen Astrographen wurden damals recht häufig gebaut, um durch gleichzeitig entstandene Vergleichsaufnahmen Plattenfehler von realen Objekten unterscheiden zu können, oder um simultan in zwei verschiedenen Farbbereichen fotografieren zu können. An den drei Astrographen konnte mit Plattenformaten bis zu 24cm x 24cm (Triplet L) bzw. 30cm x 30cm (Triplet K und Petzval) gearbeitet werden. Zusätzlich wurden Objektivprismen beschafft, die vor jedes der drei Astrographen-Objektive gesetzt werden konnten und so von jedem Objekt ein kleines Spektrum niedriger Dispersion auf der Platte erzeugten. Die Kuppel von 7m Durchmesser ist ebenfalls ein Werk der Firma Zeiss.

Im Herbst 1911 wurde das Teleskop in der bereits 1909 fertiggestellten Kuppel aufgestellt. Zunächst war nur der langbrennweitige Astrograph einsatzfähig, die beiden kurzbrennweitigen Objektive konnten von Zeiss erst 1914 geliefert werden. Zu den ersten Beobachtungen zählten Aufnahmen der ringförmigen Sonnenfinsternis vom 17. April 1912, deren Zentrallinie 40km südlich von Bergedorf durch die Lüneburger Heide verlief. Das Triplet L wurde hierzu auf 3cm Öffnung abgeblendet.

Die Forschung mit dem Lippert-Astrographen läßt sich in drei Hauptgebiete unterteilen: die Bergedorfer Spektraldurchmusterung, die veränderlichen Sterne und die Suche und Verfolgung von Kometen und Kleinplaneten.

Die Bergedorfer Spektraldurchmusterung ist Teil eines umfangreichen, internationalen Programms zur Stellarstatistik. Bereits W. Herschel hatte Ende des 18. Jahrhunderts die Idee, die Struktur des Milchstraßensystems durch Sternzählungen in ausgewählten, über den Himmel verteilten Feldern zu erschließen. Herschels Resultate erwiesen sich zwar als unzulänglich, die Idee selbst wurde jedoch später von J.C. Kapteyn aufgegriffen, der 1906 vorschlug, die wichtigsten stellaren Daten (Helligkeiten, Farben, Spektraltypen, Eigenbewegungen etc.) der Sterne in 206 gleichmäßig über den gesamten Himmel verteilten und als repräsentativ angesehenen Feldern, den sog. Kapteynschen Eichfeldern (Selected Areas), möglichst vollständig zu erfassen. An diesem gewaltigen Unterfangen beteiligten sich mehrere Observatorien. Bergedorf übernahm die Bestimmung der Spektraltypen in 115 nördlichen Eichfeldern, mit deren Durchführung Arnold Schwassmann beauftragt wurde, später unterstützt von A.A. Wachmann und J. Stobbe. In den Jahren 1923 bis 1933 wurden die hierfür erforderlichen Objektivprismenplatten mit dem Lippert-Astrographen aufgenommen. Um mit einer Dispersion von 400 Å/mm Spektralklassifikationen von Sternen bis zur 13. Größe vornehmen zu können, mußten die Platten bis zu 4 Stunden belichtet werden. Die Durchmusterung der Platten und die Klassifikation von insgesamt 173500 Sternen nahm noch etliche Jahre in Anspruch. Die Bergedorfer Spektraldurchmusterung erschien schließlich als fünfbändiges Katalogwerk zwischen 1935 und 1953. Die entsprechende Arbeit für die 91 südlichen Eichfelder wurde übrigens in einer Außenstation des Astrophysikalischen Observatoriums Potsdam in La Paz/Bolivien durchgeführt.

Die Suche nach neuen veränderlichen Sternen und die Überwachung des Lichtwechsels war das Hauptbetätigungsgebiet von A.A. Wachmann, das er über mehr als vier Jahrzehnte hinweg verfolgte, anfangs photographisch, später auch photoelektrisch. Dabei konnte er auch ganz neue Klassen von Veränderlichen entdecken, wie z.B. die FU Ori-Sternen -- junge T Tauri-Sterne mit einem langsamen, aber sehr großen Helligkeitsanstieg.

Die Beobachtung von Kometen und Kleinplaneten erfolgte hingegen weniger systematisch denn vielmehr als Nebenprodukt der anderen Beobachtungen. Dennoch gelangen auf diesem Gebiet bemerkenswerte Entdeckungen. Neben zahlreichen neuen Kleinplaneten und der Wiederentdeckung von drei bereits bekannten periodischen Kometen konnten Schwassmann und Wachmann gemeinsam vier neue Kometen entdecken, von denen sich drei als periodisch erwiesen. Besonders bekannt ist der Komet 1925 II P/Schwassmann-Wachmann 1, der sich auf einer ungewöhnlichen, fast kreisförmigen Bahn um die Sonne bewegt und zu gelegentlichen Helligkeitsausbrüchen neigt.

(5.5 kB Das Gebäude des Lippert-Teleskops (heute) [39 kB]) Der Lippert-Astrograph wurde mehrfach umfangreichen Umbauten unterzogen. 1957 wurde das Triplet L und das größere Leitfernrohr abgenommen und durch ein 60cm Spiegelteleskop mit 3m Brennweite ersetzt. Dessen Optik stammte noch von Bernhard Schmidt und hatte ursprünglich die eine Hälfte des sogenannten Doppelreflektors, bestehend aus einem Schmidt-Spiegel und einem Parabolspiegel mit gleichen optischen Dimensionen, gebildet, der 1934 in der heutigen Zonenastrographenhütte aufgestellt worden war. Mit dem Spiegelteleskop wurden anfangs photographisch, ab 1964 dann überwiegend photoelektrisch veränderliche Sterne beobachtet. Die beiden kurzbrennweitigen Astrographen auf der anderen Seite der Deklinationsachse kamen nach Inbetriebnahme des Großen Schmidtspiegels nur noch selten zum Einsatz. Die letzten Aufnahmen mit ihnen entstanden 1972.

Das Spiegelteleskop erhielt 1974 eine neue Cassegrain-Optik mit 9m Brennweite von Lichtenknecker in Belgien. Etwa zur gleichen Zeit sind auch die beiden kurzbrennweitigen Astrographen demontiert worden. Nur die mittleren Segmente ihrer Tuben blieben -- bestückt mit Gegengewichten -- auf der Montierung. Seitdem kann man eigentlich nicht mehr vom Lippert-Astrographen sprechen, eher wäre Lippert-Teleskop angebracht. Lediglich der 20cm-Leitrefraktor und ein 10cm-Sucher der ursprünglichen optischen Ausstattung sind noch parallel am Tubus des 60cm-Spiegels montiert.

Bis ca. Anfang der 80er Jahre entstanden noch einige Meßreihen mit dem lichtelektrischen Photometer. Seitdem dient der Lippert vornehmlich als Übungsteleskop und für öffentliche Beobachtungsabende. 1993/1994 entstand auch eine Reihe von CCD-Aufnahmen mit einer neuen CCD-Kamera.

Im Frühjahr 2000 wurde ein Kooperationsvertrag der Hamburger Sternwarte mit der Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung (BSJB) geschlossen. In diesem Vertrag stellt die Hamburger Sternwarte das Lippertteleskop (60 cm Spiegelteleskop) und Arbeitsräume im Lippertgebäude zur Nutzung für Schulprakika im Rahmen des Projekts Astronomie Werkstatt zur Verfügung. Die Räume im Erdgeschoß werden von der Bergedorfer Montessouri-Schulegenutzt.

Text und Bilder von Matthias Hünsch


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Anläßlich des Jahres der Astronomie 2009, wurde dieser kleine Film gedreht.


04.04.01 | jn