Einleitung zum Jahresbericht der Sternwarte Bergedorf für das Jahr 1906
Das Jahr
1906
ist für die Sternwarte von außerordentlicher Bedeutung geworden, da im
Februar dieses Jahres die Ausführung des Neubaus der Sternwarte auf dem
Gojenberge bei Bergedorf von Senat und Bürgerschaft endgültig beschlossen und die
hierfür erforderlichen Mittel bewilligt wurden. Das für den Neubau ausersehene
Gelände auf dem Gojenberge hat eine Höhenlage von 40 m über der Elbe und liegt von
der jetzigen Sternwarte in südöstlicher Richtung etwa 20 km entfernt. In unmittelbarer
Nähe liegt die Haltestelle Holtenklinke der neuen Kleinbahn Bergedorf-Geesthacht, die
man von Hamburg aus in etwa
¾ Stunden Eisenbahnfahrt erreicht. Der Gojenberg
bildet einen Teil des Geestrückens, der sich in scharfem Abfall gegen das Marschland
in südöstlicher Richtung von Hamburg über Bergedorf nach Geesthacht und
Lauenburg erstreckt. Von seiner Höhe aus überschaut man von Südosten bis gegen
Westen hin die vor der Elbe liegenden flachen Gebiete der Vierlande, und jenseits der
Elbe dehnt sich der Blick bis weit ins hannoversche Land hinein, aus dem die Türme
von Lüneburg und Bardowiek in einer Entfernung von etwa
25 km am Horizonte
aufragen. Nach Norden zu erstreckt sich der Blick etwa
2 km weit bis zu dem Hügelland,
das sich von Bergedorf nach Reinbek und Friedrichsruh hinzieht. In der östlichen und
westlichen Umgebung lagern sich größere und kleinere Waldbestände vor. Die
Bodenbeschaffenheit hat sich bei früheren Bohrungen und bei den bereits
begonnenen Bauten als sehr günstig erwiesen; es ist ein sandiger Lehmboden von
großer Festigkeit und Gleichförmigkeit vorhanden. Das ganze der Sternwarte gehörige
Gebiet hat einen Flächeninhalt von
33 652
qm und eine nahezu T-förmige Gestalt. Der
vordere am Abhange gelegene Streifen besitzt seine Hauptausdehnung in
ostwestlicher, der hintere annähernd in nordsüdlicher Richtung.
Die neue Sternwartenanlage wird eine größere Anzahl von Gebäuden umfassen, da für jedes Instrument das Beobachtungshaus isoliert von den
anderen aufgeführt wird. Es werden errichtet: vier Kuppelgebäude, zwei Meridianhäuser, ein Mirenhaus, eine Beobachtungshütte, das
Hauptdienstgebäude, drei Wohnhäuser und ein Schuppen. Von den Beobachtungshäusern sind drei Kuppelgebäude und ein Meridianhaus für
Instrumente bestimmt, welche neu für die Sternwarte angefertigt werden. Unter diesen nimmt der "große Refraktor" die erste Stelle ein. Derselbe wird
ein visuelles Objektiv von 60 cm Öffnung und 9 m Brennweite erhalten, das nach Einschaltung einer Korrektionslinse in den Strahlengang auch für
photographische Zwecke benutzt werden soll. Das Objektiv des Instruments wird von C. A. Steinheil Söhne in München aus optischen Gläsern des
Glaswerks Schott und Genossen in Jena angefertigt werden, während die parallaktische Aufstellung des Instruments von A. Repsold & Söhne in
Hamburg hergestellt wird. Das Kuppelgebäude für den großen Refraktor erhält eine Kuppel von 13 m Durchmesser und einen Schwebefußboden mit
einer Hubhöhe von 4,5 m, der mittels elektrischer Kraft bewegt werden wird. Dieses Gebäude wird auf dem vorderen Terrain errichtet und erhält einen
Anbau, in dem einige Laboratoriumsräume untergebracht sind. Östlich davon wird das Meridianhaus für den neuen Meridiankreis errichtet werden.
Das Instrument wird von A. Repsold & Söhne erbaut und erhält ein Objektiv von 19 cm Öffnung und 2,3 m Brennweite von C. A. Steinheil Söhne.
Sämtliche Teile des Instruments werden, soweit möglich, aus Nickelstahl und Eisen hergestellt werden. Die beiden Kreise erhalten einen Durchmesser
von 74 cm, der Limbus der von 4' zu 4' auszuführenden Teilung wird beim ersten Kreis aus Silber, beim zweiten ans einer Legierung von Platin und
Palladium hergestellt werden, die fast den gleichen Ausdehnungskoeffizienten wie Eisen besitzt. Bei der Auswahl der Glassorten, aus denen das
Objektiv hergestellt werden soll, ist besondere Rücksicht darauf genommen worden, daß die Änderung der Brennweite mit der Temperatur der
Ausdehnung des benutzten Nickelstahlrohres entspricht. Herr Prof. Straubel in Jena hatte die Freundlichkeit, auf meine Bitte eine Reihe von neuen
Gläsern des Jenenser Glaswerks auf die Abhängigkeit der Brechungsexponenten von der Temperatur untersuchen
zu
lassen. Auf Grund
dieser Untersuchungen ist die Herstellung des Objektives für den Meridiankreis aus Borosilikatkronglas (also O. 3453) und gewöhnlichem Flintglas (O.
118) in Aussicht genommen. Der Okularkopf erhält ein unpersönliches Mikrometer und Deklinationsmikrometer. Besonderes Gewicht ist auf die
Möglichkeit einer mehrfachen Bestimmung und Kontrolle der Instrumentalfehler gelegt. Der Meridiankreis wird deshalb ausgerüstet mit einem
Hängeniveau und zwei am Fernrohrkubus befestigten Niveaux, mit einem Nadir- und einem Zenitspiegel. Ferner wird im Beobachtungsraume
auf dem Südpfeiler ein Horizontalkollimator von 108 mm Öffnung und
1,2 m Brennweite mit azimutalem Okularmikrometer aufgestellt, auf dem Nordpfeiler eine
Mirenlinse von 200 mm Öffnung für eine in 105 m Entfernung in einem besonderen
Häuschen unterzubringende Lochmire. Diese Mire bildet gleichzeitig die Südmire für
das genau in demselben Meridian 53 m weiter nördlich aufzustellende alte 4 zöllige
Repsoldsche Passageninstrument. Die Ortsveränderung dieser Mire wird daher von
beiden Instrumenten unabhängig ermittelt werden können; außerdem wird es nach
Entfernung der Mirenlinsen möglich sein, die beiden Meridianinstrumente, den
Meridiankreis und das Passageninstrument, direkt aufeinander einzustellen. Weiter
sind für den Meridiankreis noch zwei Fernmiren in Aussicht genommen, die südliche in
4,5 km, die nördliche in 1,2 km Entfernung; die letztere wird auch vom
Passageninstrumente aus eingestellt werden können. Zur Untersuchung der
Bewegungen der Pfeiler werden vertikale Kollimatoren mit drehbarem Mikrometer und
Quecksilberhorizont und horizontale Kollimatoren in die Pfeiler eingebaut. Auch für die
Pfeiler der Mire und der Mirenlinse sind vertikale Kollimatoren mit Quecksilberhorizont
in Aussicht genommen. Das Instrument wird voraussichtlich im Frühjahr 1908
fertiggestellt werden. Das zur Aufstellung desselben bestimmte Meridianhaus soll in
ähnlicher Weise hergestellt werden, wie es vor kurzem auf der Kieler Sternwarte
ausgeführt ist. Es hat in nordsüdlicher Richtung eine Länge von 10 m, in ostwestlicher
Richtung eine solche von 8 m und wird von einem halbzylindrischen tonnenförmigen
Gewölbe überdacht. Dieses Dach und die Stirnwände werden doppelwandig aus 2 mm
starkem Stahlblech hergestellt und tragen, um die Umwandung vor direkter
Sonnenstrahlung möglichst zu bewahren, eine jalousieartig angeordnete
Holzverkleidung. Der um den Mittelpunkt des Instruments konzentrisch verlaufende
Spalt erhält eine Breite von 3 m und wird durch einen auf der Grundmauer laufenden
zweiteiligen Spaltschieber verschlossen. Die beiden Instrumentenpfeiler werden mit
Kollimator- und Mirenlinsenpfeiler zusammen auf einem gemeinsamen Mauerklotz von
6 x 8 m Grundfläche und 3,5 m Höhe aufgebaut. Im Osten des Gebäudes ist, durch einen
offenen hölzernen Verbindungsgang getrennt, ein kleiner Bau vorgesehen, der ein
Zimmer für den Beobachter und für die nötigen Hilfsapparate usw. enthält.
Außer den beiden genannten astrometrischen Instrumenten wird die Sternwarte noch
zwei größere speziell für astrophysikalische Beobachtungen bestimmte
Instrumente erhalten, nämlich ein Spiegelteleskop von 1 m Öffnung, und 3 m
Brennweite und ein photographisches Fernrohr. Für die Anschaffung des letzteren
Instrumentes sind der Sternwarte von einem Gönner derselben, Herrn Eduard Lippert
in Hohenbuchen die Mittel in hochherziger Weise geschenkt worden. Über die
Einrichtung dieser Instrumente wird erst im nächsten Jahre zu berichten sein, da die
betreffenden Verhandlungen
noch nicht abgeschlossen sind. Beide Instrumente werden auf dem hinteren Terrain aufgestellt, auf dem auch die Mire und das vorher erwähnte, von
A. Repsold & Söhne bereits wieder in Stand gesetzte Passageninstrument seinen Platz finden wird. Dieses Instrument, das im Jahre 1827 von J. G.
Repsold erbaut wurde und seitdem dauernd in Benutzung gewesen ist, hat einen neuen Okularkopf mit unpersönlichem Mikrometer, neue
Axenlager aus Eisen und ein neues Hängeniveau erhalten; ferner sind erneuert die Einstellkreise, die am Kubus befestigten Niveaux und die
Beleuchtungsvorrichtung, welche jetzt für elektrisches Licht eingerichtet ist; außerdem ist der Kubus des Fernrohrs mit einer Durchbohrung versehen.
Das Instrument wird nach seiner Modernisierung auch in der Zukunft noch wertvolle Dienste leisten können. Der alte Repsoldsche Meridiankreis, der
im Jahre 1836 von A. Repsold erbaut wurde und mit dem die zahlreichen Positionsbestimmungen von Carl Rümker, die Hamburger
Zonenbeobachtungen 80 - 81° u. a. ausgeführt wurden, wird auf der neuen Sternwarte nicht wieder zur Aufstellung gelangen. Der im Jahre 1865
erbaute 9 ½ zöllige Repsoldsche Refraktor wird auf der neuen Sternwarte wieder in einem kleinen Kuppelgebäude auf dem vorderen Terrain
aufgestellt werden.
Schließlich sei hier noch des Hauptdienstgebäudes gedacht, dessen Bau bereits im Herbst des Berichtsjahres begonnen wurde.
Dieses Gebäude liegt ebenfalls auf dem vorderen Terrain und besitzt außer dem Keller ein Erd- und ein Obergeschoß. Die Bibliothek erstreckt sich
durch beide Geschosse und bildet bei einer Grundfläche von 8 x 11 ½ m den größten Raum des Gebäudes. Unter ihr ist im Keller eine besondere
Uhrenkammer für die Hauptuhren der Sternwarte angeordnet, in der nur möglichst geringe und langsam verlaufende jährliche
Temperaturschwankungen auftreten sollen. Zu diesem Zweck ist die Uhrenkammer nach allen Richtungen völlig isoliert abgeschlossen und wird von
einem besonders ventilierbaren Gang umgeben. In dieser 6 x 9
½ m großen Uhrenkammer werden 6 isolierte Uhrenpfeiler aufgestellt. Im Keller sind
ferner Räume vorhanden für die Betriebsuhren des Zeitdienstes, für die Akkumulatorenbatterie, für eine mechanische Werkstätte, die
Dampfheizungsanlage und schließlich ein Raum zur Untersuchung von Apparaten in möglichst unveränderlicher Temperatur und Aufstellung. Im
Erdgeschoß liegen verschiedene Diensträume, unter ihnen ein Zimmer für die Erledigung der Zeitdienstarbeiten, außerdem ein Raum zur
Aufbewahrung des Kometensuchers und kleinerer Instrumente, die auf der im Süden vorgelagerten Terrasse benutzt werden können. Im
Obergeschoß befinden sich zwei Laboratorien für physikalische und für photographische Arbeiten, eine Dunkelkammer, ein Meßraum. Auf einer
Plattform des Daches sollen schließlich meteorologische Instrumente Aufstellung finden.
Bis zum Schluß des Berichtsjahres waren der Bau des Hauptdienstgebäudes, des
Beamtenwohnhauses und des Diener- und Mechanikerhauses bereits in Angriff
genommen. Der Beginn des Baues der übrigen Gebäude steht unmittelbar bevor, und es
ist zu hoffen, daß die Maurerarbeiten im wesentlichen bis Ende 1907 erledigt sein
werden, so daß eine teilweise Übersiedlung nach dem neuen Gelände voraussichtlich im
Jahre 1908 erfolgen kann.
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