Die Hamburger Sternwarte.
Die ersten Anfänge einer astronomischen Thätigkeit in Hamburg lassen sich nachweisbar
bis ins 17. Jahrhundert zurück verfolgen. Namentlich waren es die Professoren der
Mathematik am akademischen Gymnasium, denen wertvolle Beobachtungen von
Finsternissen, Merkurdurchgängen, Kometen, Sonnenflecken, veränderlichen Sternen und
anderen Himmelserscheinungen zu verdanken sind. Besonders zu nennen sind unter diesen
JOACHIM JUNGIUS (1587-1657), TASSIUS (1585-1654) und SYVERS (1626-91). Um 1721
errichtete der Mechaniker J. BEYER ein Observatorium auf seinem Hause am Baumwall,
welches er mit selbstangefertigten Instrumenten, Armillarsphären, Quadranten etc.
ausrüstete, und auf welchem er selbst, sowie andere Liebhaber der Astronomie
beobachteten. Dieses Observatorium, das "Steerenkikerhuus" genannt, hat noch einige
Jahrzehnte nach BEYER's Tode (1751) bestanden,1 scheint jedoch später nicht mehr zu
astronomischen Beobachtungen benutzt worden zu sein, denn JOH. ELERT BODE (geb. zu
Hamburg 1747), der nachmalige Direktor der Berliner Sternwarte, erzählt, dass es ihm um 1770
in Hamburg an Gelegenheit zu astronornischen Beobachtungen gefehlt habe. Ein anderes
kleines Observatorium errichtete um 1790 JOH. GEORG BÜSCH auf dem damaligen
Baumhause und 1796 der Mechaniker GABORY auf dem Dache seines Wohnhauses. Im
Jahre 1802 erbat der damalige Oberspritzenmeister
JOH.
GEORG REPSOLD, der Gründer der
weltbekannten hiesigen Werkstätte für Anfertigung astronomischer Instrumente, vom Senate
einen Platz in der Bastion Albertus, der Elbhöhe beim jetzigen Stintfang, um auf demselben ein
astronomisches Observatorium zu errichten. REPSOLD hatte sich schon vorher aus Liebhaberei
mit der Anfertigung astronomischer Instrumente beschäftigt, namentlich infolge der Anregung
des schweizerischen Astronomen J. CASPAR &R HORNFR, der bei der Vermessung der
Elbmündung hier thätig war. Nachdem er bereits mit einem kleinen Passageninstrumente in
seiner Wohnung am Herrengraben erfolgreich beobachtet hatte, hatte er nun ein grösseres
Instrument, das eine Vereinigung von Mauerkreis und Passageninstrument bilden sollte, erbaut,
und um dieses Instrument in einem passenden Raume aufstellen zu können, erbat er den Platz auf
dem Walle, der ihm auch gewährt wurde. REPSOLD errichtete nun hier ein aus zwei
Holzgebäuden bestehendes Observatorium in welchem nebst kleineren Instrumenten das
genannte Instrument, der erste Meridiankreis, aufgestellt und von ihm selbst, sowie namentlich
von 1809-12 von H. C. SCHUMACHER, dem späteren Direktor der Altonaer Sternwarte, eifrigst
zu Beobachtungen benutzt wurde. Im August 1813 musste jedoch auf Befehl der französischen
Machthaber diese Sternwarte wieder abgebrochen werden. Im Jahre 1819 richtete dann der
damalige Lehrer an der Navigationsschule, CHARLEs RÜMKER, im Garten der
Navigationsschule auf dem Walle beim Millernthor eine kleine Privatsternwarte ein und führte
hier eine grosse Anzahl von Beobachtungen aus, die in ZACH'S Correspondance Astronomique"
veröffentlicht wurden. Aber bereits 1821 verliess RÜMKER wieder Hamburg und ging mit Sir
JOHN BRISBANE nach Australien, um die Leitung der Sternwarte in Paramatta (Neu-SüdWales) zu übernehmen.
Inzwischen war jedoch der Wunsch nach Errichtung einer öffentlichen, gut eingerichteten
Sternwarte in Hamburg in weiten Kreisen der hiesigen Bevölkerung ein immer lebhafterer
geworden und es waren der bereits genannte Oberspritzenmeister J. G. RFPSOLD und der
Stromund Kanaldirektor J. TH. REINKE, welche sich die Erreichung dieses Zieles angelegen
sein liessen. Nachdem bei den Entfestigungsarbeiten der Stadt auf dem Wall ein Terrain frei
geworden war, welches sich für die Erbauung einer Sternwarte ausserordentlich gut eignete,
überreichten REPSOLD und REINKE, gemeinsam mit Dr. J. C. VON HESS am 5. Mai 1820 dem
Senate eine Eingabe, in welcher sie, unter Beziehung auf den engen Zusammenhang zwischen
Astronomie und Schiffahrt, die Wichtigkeit der Errichtung einer Sternwarte in Hamburg
betonten und darum baten, dass ihnen so viel Flächenraum von der Bastion Henricus, nachdem
die beabsichtigte Demolierung damit vorgenommen sei, möge zu eigen zugeteilt werden, als zu
einer vollständigen Sternwarte nöthig sei." Da zu dieser Zeit auch von RÜMKER eine
Erweiterung der Räume der Navigationsschule, welche in einem wenig geeigneten Gebäude auf
dem Wall untergebracht war, beantragt wurde, so richtete der Senat an die Antragsteller die
Aufforderung, zu überlegen, ob nicht das neu zu errichtende Observatorium mit der
Navigationsschule direkt verbunden werden könnte. RFPSOLD und REINKE erklärten sich
jedoch hiergegen, da eine direkte Vereinigung beider Institute nicht im Interesse derselben liege,
stimmten indessen der Erbauung eines gemeinsamen Gebäudes, wobei jedoch die
Navigationsschule und die Wohnung räumlich von der Sternwarte getrennt bleiben solle, zu,
wenn die gesamten Baukosten vom Staate übernommen würden. Dr. VON HESS trat diesem
Antrage bei und erbot sich in diesem Falle einen Beitrag von 1000 Crt. zur Beschaffung der
Instrumente zu stiften. Die Erledigung dieser Angelegenheit verzögerte sich jedoch und
RFPSOLD reichte deshalb am 11. Februar 1821 eine erneute Supplik beim Senate ein, "dass mit
dem neu aufzuführenden Gebäude einer Navigationsschule das Lokal einer Sternwarte auf
Kosten des Aerarii vereinigt werde", indem er sich gleichzeitig erbot, die instrumentelle
Ausrüstung der Sternwarte mit Unterstützung mehrerer Verehrer der Astronomie selbst zu
beschaffen. Nach längeren Verhandlungen und nachdem die Ehrbaren Oberalten zugestimmt
hatten, die anfangs wegen schlechter Finanzlage die Angelegenheit noch einige Jahre
aufschieben wollten, genehmigte Ein Ehrbarer Rath am 22. August 1821 die REPSOLD'sche
Supplik und bewilligte entsprechend dem Kostenanschlag des Stadtbaumeisters WIMMEL
22000 Crt. für die Aufführung des gemeinsamen Gebäudes für die Sternwarte und die
Navigationsschule auf dem Walle in der ehemaligen Bastion Henricus.
Die Ausführung dieses Beschlusses begegnete jedoch mancherlei Schwierigkeiten; einmal
erwies sich der Bauplan von WIMMEL nicht ausführbar und ein auf REPSOLD's Veranlassung
von den Baumeistern KESSELS und KOCH aufgestellter neuer Plan erhöhte die Kosten des
Baues auf 32654 Ctr., andererseits erhob der Wasserbaudirektor WOLTMANN Einspruch
gegen die Errichtung der Navigationsschule auf dem Walle beim Millernthor, da dieselbe am
Hafen liegen müsse, und wünschte die Errichtung derselben auf dem Kehrwieder. Die erste
Schwierigkeit wurde jedoch dadurch gehoben, dass gemäss seinem am 24. September 1823
publizierten Testamente ein Liebhaber der Astronomie, JOHANN CHRISTOPHER GRELL, der
neu zu erbauenden Navigationsschule, zum Nutzen und Besten des damit zu verbindenden
Observatoriums" die Summe von 10 000 Bco. vermacht hatte. Der Senat beschloss nunmehr am
12. Mai 1824, dass der vermehrte Kostenaufwand nicht als Hindernis für die Ausführung des
Baues gelten sollte, und dass unter Hinzuziehung des GRELL'schen Legats der Bau baldigst
ausgeführt werde; die Einwendungen von WOLTMANN wurden für irrelevant erklärt. Die
Bauarbeiten wurden nun gleich begonnen und Ende 1825 war das Gebäude im wesentlichen
vollendet, in der Gestalt, die es noch jetzt hat.
Auf dem ehemaligen Walle beim Millernthor, am jetzigen Holstenwall gelegen, ist die
geographische Lage der Sternwarte (Mitte des Meridiankreises) die folgende:
Geographische Breite | = | 53° 33' 7''10 |
Geographische Länge | = | 9° 58'27"01 | östlich von Greenwich. |
| = | 39m 53s 8 |
Das Gebäude hatte, wie der Lageplan zeigt, bei seiner Errichtung eine vollkommen symmetrische
Gestalt, es bestand aus dem in der Richtung Ost-West aufgeführten länglichen Mittelgebäude B,
welches zwei getrennte Räume für das Passageninstrument und den Meridiankreis enthält, und
zwei quadratischen Seitenflügeln. Der östliche Seitenflügel A was der
Navigationsschule eingeräumt; der westliche Seitenflügel C war für die Wohnung des
Astronomen bestimmt und ein das Gebäude durchsetzender Pfeiler sollte unter einer
drehbaren hölzernen Kuppel ein parallaktisches Fernrohr tragen.
Die erste instrumentelle Ausrüstung der Sternwarte war die folgende: Ein kleines
Passageninstrument von UTZSCHNEIDER & LIEBHERR, ein fünffüssiges
Passageninstrument von REPSOLD, für welches das HESS'sche Legat von 1000 Crt.
verwandt wurde, ein FRAUNHOFER'sches Fernrohr von 6 Fuss, ein REPSOLD'sches
Fernrohr von 3 Fuss Brennweite, eine Pendeluhr von REPSOLD und ein von
RICHARD PARISH der Sternwarte geschenktes, vortreffliches Chronometer
BREGUET 3056; hierzu kam noch im April 1826 ein dreizölliges
FRAUNHOFER'sches Heliometer, das bis dahin im Besitz von OLBERS war, und für
dessen Ankauf der Senat 100 Louisdors bewilligte. Für später war noch die
Anschaffung eines Meridiankreises und eines parallaktischen Fernrohrs in Aussicht
genommen.
Die astronomische Beobachtungsthätigkeit des neuen Instituts begann Anfang 1827,
als dem bei SCHUMACHER's Vermessungen in Holstein beschäftigten Astronomen C.
A. F. PETERS die Benutzung der Instrumente der neuen Sternwarte gegen eine
besondere Remuneration und Einräumung einer Wohnung auf der Sternwarte
übertragen wurde. Die ersten Beobachtungen PETERS', Sternbedeckungen und
Mondculminationen, wurden in den Astronomischen Nachrichten" No. 162
veröffentlicht.
Inzwischen war auch die Navigationsschule in den Ostflügel des Gebäudes übergesiedelt
und hatte dort ihre Thätigkeit unter Leitung von Dr. D. BRAUBACH begonnen.
Letzterer starb aber bereits im Januar 1828 und damit war die Neuwahl eines Leiters
der Navigationsschule wieder erforderlich geworden. Bei dieser Gelegenheit tauchte
nun wieder der Gedanke auf, die beiden in einem Gebäude vereinigten Institute, die
Navigationsschule und die Sternwarte, deren Interessen sich in so vielen Punkten
berührten, auch unter eine gemeinsame Leitung zu stellen; hierfür konnte aber nur
CHARLES RÜMKER in Frage kommen.
CHARLES LUDWIG RÜMKER, geboren am 28. Mai 1788 zu Neubrandenburg, als
Sohn eines mecklenburgischen Ministerialbeamten, hatte sich anfangs dem Baufache
gewidmet, war aber dann zur See gegangen und hatte auf vielen Kauffahrteischiffen
fast alle Weltgegenden besucht. 1812 trat er als Offizier in die englische Kriegsmarine
ein und wurde Lehrer der Navigation an Bord des Admiralschiffs der im Mittelmeer
stationierten Flotte, wo er, besonders durch Baron ZACH in Genua angeregt, eine
Reihe von astronomischen Beobachtungen und geographischen Ortsbestimmungen
ausführte. 1817 nahm er seinen Abschied und trat, wie bereits oben erwähnt, als
Lehrer an die Hamburger Navigationsschule über, wo er bis 1821 verblieb. Seitdem
hatte er mit grossem Erfolg die Leitung der neubegründeten Sternwarte in Paramatta
(N. S. W.) geführt und sehr viele wichtige und wertvolle Beobachtungen am südlichen
Fixsternhimmel geliefert, und stand nun im Begriff, nach Europa zurückzukehren.
Eine so glückliche Vereinigung
von nautischen und astronomischen Wissen, wie RÜMKER sie infolge seiner
langjährigen seemännischen und nachher seiner erfolgreichen astronomischen
Thätigkeit besass, war aber für Hamburg von ausserordentlicher Wichtigkeit, wenn man
die Leitung beider Institute in eine Hand vereinigen wollte, und in dieser Erkenntnis
ernannte der Senat am 19. Februar 1828 RÜMKER zum Direktor der Navigationsschule,
indem ihm zugleich die Aussicht eröffnet wurde, auch die Leitung der Sternwarte zu
bekommen. RÜMKER's Rückreise verzögerte sich jedoch und erst im Februar 1830
kehrte er nach Hamburg zurück.
Inzwischen hatten sich jedoch die Verhältnisse der Sternwarte durch den Tod
REPSOLD's, der am 14. Januar 1830 bei einem Brand ums Leben kam, wesentlich
geändert. Die auf der Sternwarte vorhandenen Instrumente waren mit Ausnahme des
Heliometers und des Chronometers, noch das Eigentum von REPSOLD, und es mussten
diese Instrumente, deren Wert auf 15-16000 Crt. geschätzt wurde, von REPSOLD's
Erben angekauft werden, um eine astronomische Thätigkeit der Sternwarte auch ferner
zu ermöglichen. Die Schwierigkeit, bei der damaligen Finanzlage diese bedeutenden
Kosten aus den laufenden Staatseinnahmen zu bestreiten, wurde jedoch durch
hochherzige Bemühungen von privater Seite behoben. Eine Anzahl Hamburger
Kaufleute, welche im Anfang des 18. Jahrhunderts nach Russland Geschäfte machten und
sich zu einem "Verein der nach Archangel handelnden Kaufleute" vereinigt hatten, hatte
im Laufe der Zeit ein beträchtliches Kapital angesammelt. Nachdem eine Verwendung
desselben für den ursprünglichen Zweck nicht mehr erforderlich war, beschlossen die
Verwalter desselben, die Herren Bürgermeister MARTIN GARLIEB SILLEM, Senator
CHRISTIAN DANIEL BENECKF, Senator JOHANN HINRICH GOSSLER, Senator
CHRISTIAN MATTHIAS SCHROEDER, Oberalter PETER JACOB PETERSEN und
HERMANN ROOSEN, den vorhandenen Mitteln "endlich eine dem Gemeinwesen
nützliche Bestimmung zu geben, und einen Teil derselben dazu zu verwenden, die
Sternwarte zum Eigenthum und Angelegenheit des Staates zu machen". Sie kauften nicht
nur die vorhandenen REPSOLD'schen Instrumente mit einem Kostenaufwande von
11820 Bco. 7 β an, sondern bewilligten nach dem Gutachten von SCHUMACHER auch
noch 7440 Bco. für eine Vervollständigung der Ausrüstung der Sternwarte, namentlich
durch einen von REPSOLD's Söhnen zu erbauenden Meridiankreis, und hinterlegten
ferner noch 12 700 Bco. für die Bestreitung der laufenden Bedürfnisse der Sternwarte.
Syndikus SIEVEKING berichtete in der Senatssitzung vorn 11. Juli 1833 hierüber, und
der Senat beschloss, indem er diese hochherzige Stiftung annahm, den Donatoren "den
aufrichtigsten und herzlichsten Dank für dieses wahrhaft patriotische Geschenk,
wodurch sich die Geber ein, bleibendes Andenken ihres Bürgersinnes gestiftet,
abzustatten". Hiermit war nun ein Fortbestehen und eine weitere Entwickelung der
Sternwarte gewährleistet und es konnte nunmehr die Übernahme der Sternwarte als
Staatsinstitut und die Ernennung und Salarirung der Astronomen in die Wege geleitet
werden. Der Senat richtete darauf an die Kollegien den folgenden Antrag: "E. E. Rath
trage kein Bedenken mehr, darauf anzutragen, dass die Benutzung dieser Anstalt sowohl
für die Erweiterung als Überlieferung astronomischer Wissen schaften durch ein
angemessenes Honorar in derselben Weise wie bei der botanischen Garten dem
Scholarchat untergeordnet werde. E. E. Rath halt eine jährlich auszuzahlende Summe
von 2000 Crt. hinreichend, um der Sternwarte die Aufsicht eines nicht ausschliesslich
darauf angewiesene Astronomen in der Person des durch seine Beobachtung der südliche
Hemisphäre rühmlich bekannten, verdienten Lehrers der Navigationsschule Herrn
RÜMKER, sowie eines wahrscheinlich unentbehrlichen Assistenten zu sichern, deren
wissenschaftliche Thätigkeit derselben nicht bloss einen möglichst gemeinnützigen
Einfluss in Verbindung mit der Navigationsschule sondern eine angemessene Stelle unter
ähnlichen Anstalten anzuweisen geeignet sei, welche zum Teil unter Aufsicht gelehrter
Hamburger das deutsche Vaterland zieren." Diesem Antrag trat die Erbgesessene
Bürgerschaft am 31. Oktober 1833 bei und damit war die Hamburger Sternwarte als
Staatsinstitut übernommen. CHARLES RÜMKER wurde nun am 6. Dezember 1833 als
Direktor und C. A. F. PETERS als Assistent vom Senate angestellt.
Es begann nun für die Hamburger Sternwarte eine überaus segensreiche und arbeitsvolle
Thätigkeit. Während eines Vierteljahrhunderts widmete sich RÜMKER mit
unermüdlichem Eifer der Beobachtung aller wichtigen Himmelserscheinungen. An dem
inzwischen parallaktisch aufgestellten sechsfüssigen FRAUNHOFER'schen Refraktor
beobachtete er alle neu entdeckten Kometen und Planeten, soweit es die Lichtstärke des
Fernrohres irgend zuliess; ausserdem eine grosse Anzahl von Sternbedeckungen und
Finsternissen. Die wichtigste Frucht seiner Thätigkeit lieferten aber seine
Beobachtungen am Meridiankreis, nämlich seinen von 1843 in mehreren Abteilungen
bis 1859 unter dem Titel: "Mittlere Oerter von 12000 Fixsternen für den Anfang von
1836, abgeleitet aus Beobachtungen auf der Hamburger Sternwarte" und "Neue Folge der
mittleren Oerter von Fixsternen für den Anfang von 1850" erschienenen Sternkatalog,
wofür ihm von der Royal Astronomical Society in London die goldene Medaille
verliehen wurde. Der Meridiankreis wurde im Jahre 1835 von A. & G. REPSOLD
vollendet und auf der Sternwarte aufgestellt. Derselbe hat ein vierzölliges
FRAUNHOFER'sches Objektiv von 5 Fuss Brennweite, zwei von 2' zu 2' geteilte Kreise
und ist ausführlich in den "Astronomischen Nachrichten" (Band 15, S.225; spätere
Anm.) beschrieben und abgebildet. Mit diesem Instrumente beobachtete CHARLES
RÜMKER die grossen und die helleren kleinen Planeten eine grosse Anzahl von
Mondculminationen und über 60000 Positionen von zumeist schwächeren Sternen des
nördlichen Himmels, von denen die Mehrzahl die Grundlage für den bereits genannten
Sternkatalog bildeten, während eine Reihe derselben noch unpubliziert vorliegt. Eine
neue kritische Bearbeitung dieser ausgedehnten Beobachtungsreihen und Herstellung
eines alle Beobachtungen umfassenden Sternkatalogs ist, nachdem Senat und
Bürgerschaft in diesem Jahre die hierfür erforderlichen Mittel in liberalster Weise
bewilligt haben, zur Zeit in Ausführung begriffen.
Es ist geradezu bewunderungswürdig, dass RÜMKER es vermochte, eine solche
angestrengte astronomische Beobachtungsthätigkeit, in Verbindung mit
der erforderlichen rechnerischen Bearbeitung, neben einer ebenfalls angestrengten
Lehrthätigkeit an der Navigationsschule auszuführen. Seine Gesundheit hielt jedoch
auf die Dauer einer derartigen Thätigkeit gegenüber nicht Stand, und im Jahre 1857
sah sich CHARLEs RÜMKER genöthigt, die Hamburger Sternwarte zu verlassen und
in einem südlicheren Klima (Lissabon) Genesung zu suchen. Bei dieser Gelegenheit
sprach ihm der Senat seine höchste Anerkennung für die der Sternwarte und der
Navigationsschule geleisteten Dienste aus und gab ihm die Versicherung, dass es ihm
gelungen sei, beide Institute zu wahren Zierden Hamburgs zu gestalten. RÜMKER's
zunehmende Kränklichkeit ermöglichte es ihm leider nicht mehr, in seinen
Wirkungskreis nach Hamburg zurückzukehren; am 21. Dezember 1862 erlag er in
Lissabon nach einem arbeitsreichen Leben seinem Leiden.
Die Leitung der Sternwarte wurde dann zunächst interimistisch seinem Sohne
GEORGE RÜMKER (geboren 31. Dezember 1832) übertragen, welcher schon von
1855 ab seinem Vater als Adjunkt beigeordnet war, nachdem er von 1853 bis 55 an
der Sternwarte in Durham thätig gewesen war. Vor ihm hatten, nach PETERS' Abgang
nach Pulkowa (1839), WEYER, FUNK, JULIUS SCHMIDT, SCHLÜTER,
POWALKY, GOETZE, QUIRLING u. a. als Assistenten unter CHARLEs RÜMKER
gearbeitet.
Die instrumentelle Ausrüstung der Sternwarte war im wesentlichen noch die gleiche,
wie bei der Errichtung derselben, abgesehen von einigen Geschenken, welche Freunde
der Anstalt ihr überwiesen hatten; unter diesen ist besonders zu nennen die vorzügliche
Pendeluhr KESSELS 1284 und ein Prismenkreis von PISTOR und MARTINS beide
von dem bereits genannten RICHARD PARISH geschenkt, der auch die Bibliothek der
Sternwarte durch wertvolle Zuwendungen bereicherte. Aber bereits in den fünfziger
Jahren war die Benutzung des FRAUNHOFER'schen Refraktors immer schwieriger
geworden, da die Kuppel, unter welcher derselbe aufgestellt war, sich nur sehr
unvollkommen drehen liess. Nachdem ein Umbau nach einem baulichen Gutachten
nicht durchführbar erschien, beschloss der Senat am 1. November 1854 den Bau eines
neuen massiven Thurms mit eiserner Kuppel auf der Nordseite des
Sternwartengebäudes und bewilligte hierfür einen Betrag von 20000 Crt. Dieser Thurm
(auf dem Lageplan mit D bezeichnet) wurde bereits im nächsten Jahre vollendet und es
galt nun, ein grösseres parallaktisch montiertes Fernrohr zu beschaffen, welches in
diesem Thurm Aufstellung finden sollte, nachdem der FRAUNHOFER'sche Refraktor
für die Beobachtung der schwachen Kometen und Planeten sich nicht mehr als
ausreichend erwiesen hatte und seine Leistungsfähigkeit von grösseren auf anderen
Sternwarten aufgestellten Fernrohren überholt war. Die Erfüllung dieses Wunsches
wurde dadurch ermöglicht, dass der bereits genannte "Verein der nach Archangel
handelnden Kaufleute" der Sternwarte abermals ein Geschenk von 25000 Bco.
überwies, zur Anschaffung eines neuen Äquatorials, sowie zur Vervollkommnung der
alten Instrumente, namentlich des Meridiankreises, für den auch ein besonderes
Mirenhaus erbaut wurde.
Das neue Äquatorial, welches die nebenstehende Abbildung zeigt, wurde von A.
REPSOLD & SÖHNE im Jahre 1867 vollendet und aufgestellt. Es hat ein
MERz'sches Objektiv von 9 1/2 Par. Zoll Öffnung und 9 Par. Fuss Brennweite und
wurde auf Anraten von C. A. F. PETERs, der inzwischen Direktor der Altonaer
Sternwarte geworden war, mit fein geteilten Kreisen und Mikroskopen versehen, um
für absolute Beobachtungen verwendbar zu sein, und ist in dieser speziellen
Ausstattung das grösste seiner Art. Im Jahre 1870 wurde ein zweites Objektiv für
dieses Fernrohr von dem hiesigen Optiker H. SCHROEDER verfertigt und der
Sternwarte von mehreren angesehenen Bürgern Hamburgs als Geschenk überwiesen.
Späterhin erfolgte noch die Erwerbung eines SCHROEDERsehen Spektralapparats, der
an das Äquatorial angesetzt werden konnte. Mit diesem Äquatorial, welches nunmehr
das Hauptinstrument der Sternwarte bildete, wurden von G. RÜMKER, welcher am 1.
April 1867 definitiv zum Direktor der Sternwarte ernannt wurde und von den unter
ihm thätigen Observatoren: C. F. W. PETERS (1867-68), KAMPF (1868-69),
HELMERT (1869-70), PECHÜLE (1870-74), LINDSTEDT (1874-75), GRUBER
(1875-76), KOCH (1876-78), SCHRADER (1878-82, 84-85, 89), LEITZMANN
(1882-83), KÜSTNER (1883-84), LUTHER (1885-92), SCHORR (Seit 1892)
fortlaufend alle hier sichtbaren Kometen, sowie interessantere kleine Planeten
beobachtet, ebenso eine grosse Anzahl von Positionsbestimmungen von Sternhaufen
und Nebelflecken, Doppelsternmessungen, sowie eine Ausmessung des Sternhaufens im
Sobieski'schen Schilde (HELMERT) ausgeführt. Die Resultate dieser Beobachtungen
sind zum Teil in den "Astronomischen Nachrichten", zum Teil in den eigenen
Schriften der Sternwarte: "Publikationen, Theil I", "Mittheilungen der Hamburger
Sternwarte, No. 1-7" veröffentlicht.
Am Meridiankreise wurden neben den laufenden Zeitbestimmungen
Positionsbestimmungen von grossen und kleinen Planeten, einer grossen Anzahl von
Vergleichsternen, Mondculminationen, sowie Beobachtungen der Sterne in der Zone
80-81 Grad nördlicher Deklination ausgeführt. Ein aus den Meridianbeobachtungen
von Dr. LUTHER abgeleiteter Sternkatalog von 636 Sternen wurde in der
"Mittheilung No. 4 der Hamburger Sternwarte" veröffentlicht. Eine neue vollständige
Beobachtung der Zone 80-81°, welche alle Sterne bis zur 9.0ten Grösse enthält, wurde
in den Jahren 1899 und 1900 von dem Unterzeichneten gemeinsam mit Dr.
SCHELLER durchgeführt und gelangte in No. 6 und 7 der "Mittheilungen" zur
Veröffentlichung.
Neben der rein wissenschaftlichen Thätigkeit hat die Sternwarte sich ferner von
Anfang an zur Aufgabe gemacht, auch die Interessen der Schiffahrt zu fördern; so
wurde den Schiffsführern und den hiesigen Uhrmachern die genaue Zeit zur Regulirung
der Chronometer auf der Sternwarte mitgeteilt, und als bei der zunehmenden
Ausdehnung des Hafens es erwünscht war, diese für die Schiffahrt wichtige
Zeitmitteilung leichter zugänglich zu machen, wurde im Jahre 1876 auf dem Thurme
des Quaispeichers am Kaiserquai ein Zeitball errichtet, der, in elektrischer Verbindung
mit der Sternwarte stehend, von dieser aus täglich im Greenwicher Mittag fallen
gelassen wird, anfangs durch Niederdrücken eines Tasters, seit 1899 automatisch durch
den Kontakt einer Uhr. Die Einrichtung dieses Zeitballes, welcher am 16. September
1876 zuerst fiel und zu den ersten in Deutschland gehörte, ist nebenstehend zur
Darstellung gebracht. Der eigentliche Zeitball hängt in einer Scheere, welche durch das
Aufschlagen eines niederfallenden Klotzes geöffnet wird und den Ball dann frei
herabgleiten lässt. Der Fall des Klotzes wird dadurch veranlasst, dass der elektrische
Strom von der Sternwarte einen Hammer auslöst, der ein Sperrrad, an dem der
Fallklotz befestigt ist, frei macht. Ein beim Niederfallen des Balles eintretender
Kontakt verzeichnet auf der Sternwarte ein Rücksignal, durch welches die Richtigkeit
des stattgehabten Falles erkannt wird. Der Fall des Balles erfolgt, wie aus der folgenden
Zusammenstellung der mittleren Abweichungen der erteilten Signale von der genauen
Zeit aus den letzten Jahren hervorgeht, mit grosser Genauigkeit: Mittlere Abweichung
1897 ... 0.19 Sekunden
1898 ... 0.18
1899 ... 0.18
1900 ... 0.22
Einem ähnlichen Zweck, wie der Zeitball, dienen zwei an der Börse und an der
Sternwarte im Jahre 1876 angebrachte öffentliche Normaluhren, welche in dauernder
elektrischer Verbindung mit der Hauptuhr der Sternwarte stehen und die genaue Zeit -
jetzt M. E. Z., früher Ortszeit - innerhalb weniger Bruchteile der Sekunde angeben.
Die mittleren Abweichungen dieser Uhren von der genauen Zeit sind in den letzten
Jahren die folgenden gewesen:
1897 .... 0.30 Sekunden
1898 .... 0.30
1899 .... 0.23
1900 .... 0.18
Ausserdem leitet die Sternwarte noch den Betrieb der Zeitbälle in Cuxhaven und
Bremerhaven, indem sie täglich die auf den dortigen Telegraphenämtern aufgestellten
Präzisions-Pendeluhren mit der hiesigen Normaluhr auf telegraphischem Wege
vergleicht und Anweisung über die betreffenden Fallzeiten giebt. Schliesslich giebt die
Sternwarte noch Zeitsignale für die Regulierung der hiesigen öffentlichen Uhren.
Im Jahre 1876 wurde auf Hamburgische Anregung von Seiten der Kaiserlichen
Admiralität ein Chronometer-Prüfungs-Institut in Hamburg errichtet welches der
Deutschen Seewarte als vierte Abteilung angegliedert, der Direktion der Hamburger
Sternwarte unterstellt wurde. Für dasselbe wurde im Garten der Sternwarte ein
besonderes Gebäude errichtet. Über die Thätigkeit dieses Institutes, welches neben der
Prüfung von Schiffschronometern und Taschenuhren für die Zwecke der Schiffahrt und
für wissenschaftliche Reisen, in jedem Jahre Konkurrenz-Prüfungen von
Chronometern veranstaltet, sind fortlaufende Berichte in den "Annalen der
Hydrographie" und im "Archiv der Deutschen Seewarte" veröffentlicht. Nachdem
bereits im Jahre 1893, als sich die Diensträume dieses Institutes zu klein erwiesen, ein
neues Gebäude auf dem Terrain der Seewarte errichtet worden war, wurde am 1. April
1899 dieses Institut auch von der Leitung der Sternwarte getrennt und ausschliesslich
der Seewarte unterstellt.
Der Instrumentenbestand der Sternwarte ist seit der Anschaffung des Äquatorials im
wesentlichen ungeändert geblieben, mit Ausnahme eines im Jahre 1870 angeschafften
fünfzölligen Kometensuchers und eines kleinen dreizölligen transportablen PassagenInstrumentes mit selbstregistrirendern Mikrometer, das 1896 von A. REPSOLD &
SÖHNE erbaut wurde und welches jetzt zu Polhöhenbestimmungen benutzt wird.
Ausserdem wurde ein fünfzölliger Anastigmat von VOIGTLAENDER & SOHN
angeschafft, welcher am Rohr des Äquatorials montirt, zu gelegentlichen
photographischen Aufnahmen, namentlich von kleinen Planeten dient. Für den
Zeitdienst der Sternwarte wurden im Laufe der Zeit mehrere Pendeluhren von
THIEDE (im luftdichten Verschluss), KITTEL, STRASSER & ROHDE, sowie in
neuester Zeit ein elektrisches Pendel von FERY beschafft.
Am 1. April 1899 sah sich GEORGE RÜMKER infolge seines angegriffenen
Gesundheitszustandes genötigt, in den Ruhestand zu treten, und bereits am 3. März
1900 erlag er seinem langjährigen Leiden. Die interimistische Leitung des Instituts
wurde dem Unterzeichneten übertragen.
Während bei Errichtung der Sternwarte vor nunmehr fast 80 Jahren die Lage derselben
auf dem Walle bei der damaligen Ausdehnung der Stadt eine für astronomische
Beobachtungen ausserordentlich günstige gewesen war und die instrumentelle
Ausrüstung sie unter die ersten der Welt stellte, haben sich nunmehr die Verhältnisse
wesentlich geändert. Einmal ist die Lage infolge der beständig zunehmenden
Ausdehnung der Stadt und der damit verbundenen Beeinträchtigungen der
Beobachtungsthätigkeit durch Rauch, Licht, Lärm und Erschütterungen eine sehr
ungünstige geworden, andererseits können die Instrumente der Sternwarte in ihrem
jetzigen Zustande nicht mehr modernen Anforderungen entsprechen. Eine gedeihliche
astronomische Thätigkeit
hat sich daher für die Sternwarte an ihrem jetzigen Orte und in ihrem jetzigen
Zustande immer schwieriger gestaltet und infolgedessen ist eine Reorganisation des
Instituts erforderlich geworden, um auch für die Zukunft erfolgreiche Arbeiten
desselben zu ermöglichen. In dieser Erkenntnis richtete die erste Sektion der
Oberschulbehörde, der die Sternwarte seit 1863, nach Aufhörung des Scholarchats
unterstellt ist, im vergangenen Jahre an den Senat den Antrag auf Verlegung der
Sternwarte nach einem der Rauchatmosphäre Hamburgs entrückten Platz unter
gleichzeitiger Verbesserung der instrumentellen Ausrüstung des Institutes. Der Senat
erteilte hierzu seine Zustimmung und es wurde hierauf ein auf dem Gojenberge bei
Bergedorf gelegenes, 33 652 qm grosses Terrain für die Erbauung der neuen Sternwarte
in Aussicht genommen. Der Antrag auf Ankauf dieses Terrains und Verlegung der
Sternwarte dorthin wurde am 28. Dezember 1900 vom Senate bei der Bürgerschaft
gestellt und von dieser am 22. Mai 1901 angenommen.
Hiermit ist der Hamburgischen Sternwarte auch für die Zukunft eine würdige Stellung
unter ihren Schwester-Instituten gesichert und einer ferneren erspriesslichen
Forschung auf astronornischem Gebiete sind die günstigsten Auspizien eröffnet!
R. Schorr.
R.Schorr: Die Hamburger Sternwarte. Hamburg in naturwissenschaftlicher und medizinischer Beziehung. Den Teilnehmern der 73. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte als Festgabe gewidmet, 110, 13 S., 8°.
Postscript Version
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